Wildbienenhaus mit Ruderalbepflanzung beim Schulhaus in Hofstetten Koni Gschwind
19.10.2022

Biodiversitätfördern im Siedlungsraum

«Biodiversität im Siedlungsraum» und «naturnahe Gärten» sind aktuell in aller Munde. Doch noch vor zehn Jahren verstanden wohl wenige die Bedeutung von «Biodiversität». Heute weiss ein Grossteil der Bevölkerung, was sich dahinter verbirgt. Durch Kommunikationskampagnen von verschiedensten Seiten – auch von Pro Natura - wurde die Bedeutung wie auch die Wichtigkeit der Biodiversität erklärt. Das drastische Verschwinden der Artenvielfalt und mögliche Massnahmen dagegen, wurde einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht.

Biodiversitätsförderung und Naturgärten sind Begriffe, die nicht erst vor kurzem erfunden worden sind. Schon in den fünfziger Jahren erkannte Urs Schwarz die Problematik der schleichenden Zerstörung der Artenvielfalt durch die industrielle Landwirtschaft und der zunehmende Ressourcenverbrauch durch die aufstrebende Wirtschaft. Weitere Gründe sind der zunehmende Landverlust durch immer grösser werdende Siedlungen, der Ausbau der Strassen und damit die Zerschneidung der Lebensräume. Die Grünflächen und Gärten der Einfamilienhäuser entsprechen leider in keiner Weise dem vorherigen Zustand. Urs Schwarz beschrieb in den Achtzigerjahren in seinem Buch «Der Naturgarten» die Möglichkeiten, wie der eigene Garten naturnah, insektenfreundlich und ohne Spritzmittel und Kunstdünger gestaltet werden kann. Auch der Naturgartenpionier Andreas Winkler befasste sich in seinem Buch «Das Naturgartenhandbuch für Praktiker» (1989) mit der Thematik. Und wo stehen wir heute, 40 Jahre später, seit der Erscheinung der ersten Fachbücher?

Jahrelang wurde das Thema nicht oder zu wenig ernst genommen. Erst die Ergebnisse einer deutschen Studie des Entomologischen Vereins Krefeld schreckte die Öffentlichkeit auf. Die Studie hat an 63 Standorten in Naturschutzgebieten in Nordrhein-Westfalen, Reinland-Pfalz und Brandenburg zwischen 1989 bis 2014 die Biomasse von fliegenden Insekten untersucht und festgestellt, dass diese in der Untersuchungszeit um 75 % abgenommen hat. Wir müssen dringend handeln!

Öffentliche Flächen

Der Siedlungsraum beinhaltet ein grosses Potenzial die Artenvielfalt zu fördern. Praktisch alle Gemeinden besitzen im Siedlungsraum Grünflächen z.B. bei Schulhäusern und Kindergärten, bei Verwaltungsgebäuden oder auf Kirchhöfen. Viele dieser Flächen werden auch heute noch intensiv bewirtschaftet. Macht es Sinn Grünflächen wöchentlich zu mähen oder Böschungen zu mulchen? Unser Drang zu Sauberkeit und Perfektion verhindert immer noch, dass viele Gemeinden nur zaghaft ihre Flächen natürlicher gestalten und extensiver unterhalten. Es scheitert oft an der politischen Bereitschaft oder an den Mitarbeitenden des technischen Dienstes, die (noch) nicht bereit sind, sich auf neue Bewirtschaftungsweisen einzulassen. Auch der Sauberkeitsdruck aus der Bevölkerung verhindert das entschlossene Handeln. Zudem scheitert die Umstellung auch oft am fehlenden Fachwissen und an der praktischen Erfahrung. Den Gemeinden kommt eine Schlüsselfunktion zu bei der Förderung der Artenvielfalt. Gehen sie mit gutem Beispiel voran, können sie private Gartenbesitzer animieren ihre Gärten naturnah zu gestalten.

Pro Natura Solothurn nimmt sich beherzt diesem Thema an. Der Verband offeriert für interessierte Gemeinden im ganzen Kanton, ein informatives Referat. Dabei wird aufgezeigt, wie die gemeindeeigenen Flächen ökologisch aufgewertet werden können und wie mit dem richtigen Unterhalt und der extensiven Pflege die Biodiversität gefördert werden kann. Es wäre schön, wenn sich viele Gemeinden der Aufgabe annehmen und mehr Raum für die Natur schaffen würden.

Privatgärten und Gewerbeareale

Privatgärten, Schrebergärten und gewerbliche Flächen können einen wesentlichen Teil zur Verbesserung der Ökologie und zur Biodiversitätsförderung beitragen! In erster Linie gilt es keine Pestizide mehr auszubringen. Hier einige Tipps: Nur Kompost und organischen Dünger zuführen, einheimische Stauden und Sträucher pflanzen und invasive Neophyten entfernen. Naturhecken pflanzen, den eintönigen Rasen in einen Blumenrasen oder eine Blumenwiese umwandeln.

Biodiversität im Siedlungsraum heisst nicht, dass alle exotischen Pflanzen durch einheimische Arten ersetzt werden sollen. Exotische Pflanzen haben auch ihre Berechtigung und dürfen weiterhin in unseren Gärten wachsen. Wichtig ist, dass sie nicht invasiv oder auf der schwarzen Liste der stark invasiven Neophyten aufgeführt sind. Wenn wir aber einige Elemente ersetzen wie z.B. Thuja durch eine dornige Naturhecke, Nischen mit Asthaufen schaffen, Häckselhaufen oder Steinhaufen anlegen, an einigen Orten etwas Unordnung zulassen, und mit einheimischen Wildblumen die Artenvielfalt im Garten erhöhen, dann haben wir schon viel erreicht.

Im Gewerbegebiet sind in den letzten Jahren einige Grünflächen naturnah gestaltet worden, nicht zuletzt durch die Initiative der Stiftung Natur und Wirtschaft. Bereits vor 20 Jahren wurde diese Stiftung aktiv und animierte Gewerbetreibende ihre Umgebungsflächen naturnah zu bepflanzen und zu bewirtschaften! Aber das Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft.

Überdenken wir unser Handeln: Macht es Sinn im eigenen Garten Pestizide auszubringen? Macht es Sinn jede Woche oder sogar zweimal pro Woche den Rasen zu mähen und dann regelmässig zu wässern, nur weil er dunkelgrün und lückenlos sein soll? Wir brauchen die Natur, das ist uns sicher allen klar. Lassen wir doch die Natur in unserer Nähe zu und fördern sie im Siedlungsraum, im eigenen Garten und im öffentlichen Raum. Das Potenzial ist riesig und liegt vor unserer Haustüre! Packen wir es an – wir können nur gewinnen!

Koni Gschwind, Naturgärtner und Vorstandsmitglied (Text und Fotos)